Wenn Bürger:innen nicht zum Jobcenter Stadt Kassel kommen und auch andere Kontaktwege abgerissen sind, kommt das Jobcenter eben zu ihnen nach Hause. Was sich so einfach und logisch anhört ist die Zusammenfassung eines erfolgreichen Projekts in Kassel, welches seit einem Jahr erfolgreich durchgeführt wird und das bundesweite Beachtung findet. So werden seit April 2022 werden vom Jobcenter Stadt Kassel hilfebedürftige Bürger:innen, zu denen seit mindestens sechs Monaten der Kontakt abgebrochen ist, auch im Außendienst betreut. So wird auch Menschen mit multiplen Problemlagen eine Perspektive der Teilhabe ermöglicht.
Zu der überwiegenden Mehrheit der auf die Hilfe des Jobcenter Stadt Kassel angewiesenen Bürger:innen besteht ein guter und regelmäßiger Kontakt – persönlich, telefonisch oder elektronisch. Das ermöglicht den Mitarbeiter:innen im Jobcenter, Menschen zu unterstützen, zu informieren und zu beraten.
Gleichzeitig wurde aber bereits seit einiger Zeit im Jobcenter Stadt Kassel wahrgenommen, dass zu einer steigenden Anzahl von Bürger:innen der Kontakt abbrach, ohne dass hierfür konkrete Gründe erkennbar waren. Als im Sommer/Herbst 2019 dieser Trend immer deutlicher wurde, zeigten sich immer mehr Integrationsfachkräfte im Haus verzweifelt und frustriert, da sie sich die Frage stellten: „Wie können wir Menschen helfen, wenn wir keinen Kontakt haben und wir sie gar nicht zu unseren Unterstützungsangeboten beraten können?“
So entstand die Idee, Elemente der „Aufsuchenden Sozialarbeit“ auch in die Arbeit des Jobcenters aufzunehmen, die „verlorengegangenen Bürger:innen“ zu Hause zu besuchen, um so zu erfahren, was die individuellen Gründe für den Kontaktabbruch sind. Und um den hilfebedürftigen Menschen so wieder eine Teilhabe und eine Perspektive auf Chancen am Arbeitsmarkt ermöglichen zu können.
Neuartiges Vorgehen – und mögliche Blaupause für Umsetzung §16k SGB II
Im Bereich der Jobcenter war und ist die Aufsuchende Beratung ein neuer Ansatz, es gab dazu keine konkreten Vorbilder oder Erfahrungen. So wurde das Konzept im Laufe des ersten Jahres auch immer wieder angepasst und verfeinert.
Mit der Aufsuchenden Beratung wurde im Jobcenter Stadt Kassel bereits etwas umgesetzt, was erst danach im Zuge der Bürgergeld-Reform auch in das Sozialgesetzbuch gelangt ist: Mit dem §16k SGB II wurde die „ganzheitliche Betreuung“ aufgenommen, wofür das Kasseler Projekt als Blaupause dienen kann. Da überrascht es nicht, dass sowohl Andrea Nahles als auch Hubertus Heil inzwischen Kenntnis von unserem Projekt haben!
Noch erfolgreicher als erwartet
Nach dem ersten Jahr der Aufsuchenden Beratung lässt sich feststellen: Das Projekt ist erfolgreicher, als es die größten Optimisten erwartet hatten! Dabei zeigt sich der Erfolg nicht unbedingt in den „üblichen“ Kennzahlen, wie einer Integrationsquote in Arbeit – auch wenn es direkt aus dem Projekt heraus zu Arbeitsaufnahmen gekommen ist. Der Erfolg misst sich jedoch in erster Linie in wieder vorhandenen Kontakten und in unterbreiteten Hilfsangeboten. Durch die engagierte und emphatische Arbeit der Kolleginnen der Aufsuchenden Beratung konnte in einem Jahr zu ungefähr 400 Personen der Kontakt wieder aufgebaut werden. Teilweise konnten diese Menschen recht schnell wieder an die „normale“ Betreuung angedockt werden, bei anderen dauert dies länger. Unterstützt wird dieser Prozess durch ein externes Life-Coaching, welches allen Bürger:innen in dem Projekt angeboten wird.
Bundesweites Interesse am Kasseler Projekt
Was sich zum Start ebenfalls noch nicht absehen ließ war das riesige externe Interesse am Projekt der Aufsuchenden Beratung. So wurde das Kasseler Projekt bereits von mehreren Medien aufgegriffen, unter anderem in der HNA, dem Stern und bei ZEIT Online. Aber auch in den ARD-Tagesthemen wurde die Aufsuchende Beratung bereits vorgestellt.
Zusätzlich besteht auch Interesse anderer Jobcenter, die sich über das Projekt und den innovativen Ansatz informieren. Die Kolleginnen der Aufsuchenden Beratung teilen die Erfahrungen gerne und wurden auch schon zu verschiedenen Veranstaltungen als Referentinnen eingeladen.
Aufsuchende Beratung in der ZDF-Reportage
Für „ZDF.reportage" war Ende März und Anfang April ein TV-Team zu Gast im Jobcenter Stadt Kassel, um das Projekt der Aufsuchenden Beratung zu begleiten. Die Reportage „Alltag im Jobcenter - Zwischen Beratung und Burnout“, in der neben dem Kasseler Modellprojekt auch die Arbeit in den Jobcenter Paderborn und Wiesbaden vorgestellt wird, wird am 30.04.2023 um 18 Uhr im ZDF ausgestrahlt.
(veröffentlicht 03.04.2023, aktualisiert)